Der Achte Tag
von thalasso wave, Erstveröffentlichung 2013

ER hatte schon lange kein Universum mehr erschaffen. Viel zu viel Arbeit und zu wenig Anerkennung. Aber dennoch verspürte ER den Reiz, der von einer Schöpfung an sich aus ging, der Vielfalt und den Möglichkeiten. ER überlegte nicht lange und machte sich ans Werk. Diesmal hatte ER sich allerdings viel vorgenommen. Nicht so ein Allerwelts-Universum. Nein, etwas ganz Besonderes sollte es sein.

ER schuf Raum und Zeit, füllte beides mit Materie und Energie, helle und dunkle. ER fühlte, dass ER diesmal eine außergewöhnliche Mischung gefunden hatte. Ja, die Mühe hatte sich gelohnt. Und ER sah, dass es gut war.

Für den Kleinkram nahm ER sich mehr Zeit als sonst. Jede Galaxie modellierte ER einzeln, jedem Nebel hauchte ER seinen Atem ein. Sogar die einzelnen Lebewesen gestaltete ER neu. Die etwas schlaueren davon schuf ER nach seinem Ebenbilde, oder so ähnlich jedenfalls. Genau genommen sahen sie völlig anders aus als ER. Das dauerte ganz schön lange, so um die 6 Tage. Am siebten Tage machte ER eine Pause, legte sich in einen Liegestuhl und zischte sich ein Bierchen. Und ER sah, dass es gut war.

Zumindest bis sein Blick auf dieses Pärchen im Garten fiel. Die amüsierten sich köstlich, hatten Sex wie die Otter, machten einen Knoten in die Schlange und konnten einfach machen, was immer sie wollten. ER musste feststellen, dass seine Geschöpfe ihm doch ähnlicher waren als ER gedacht hatte. Sie hatten alle Freiheiten der Welt, aber sie mussten keinerlei Verantwortung übernehmen. ER trug allein diese schwere Last.

Denen mache ich es ein wenig schwieriger, dachte ER sich und erklärte dem erstaunten Paar, was sie in Zukunft essen durften und was nicht. Also auf gar keinen Fall die leckeren Äpfel. Das war natürlich eine bösartige Falle, in welche die Beiden prompt hinein tappten.

ER spielte sich ein bisschen auf und verkündete die Konventionalstrafe: ER brachte Not, Elend, Hunger, Schmerz und Anwälte in die Welt. Das wird ihnen eine Lehre sein, hoffte ER. Weit gefehlt. Zwar machten den Beiden und ihren zahlreichen Nachkommen das harte Leben durchaus zu schaffen, aber sie waren immer noch zum Erbrechen fröhlich und hatten selbst in der größten Not jede Menge Spaß.

ER legte nach: Lug und Trug, Kriege, Hungersnöte, Naturkatastrophen, Seuchen, Anlageberater, Öffentliche Verwaltung, Volksmusik und Privatfernsehen. Doch die Sanktionen verfehlten wiederum ihre Wirkung. Noch immer wurde sich prächtig amüsiert. ER schickte Landminen, Atomkatastrophen, Krankheiten, Steuern, Pestizide, Pharmavertreter, Billigflieger, Pandemien, Liberale und den Tod. Und ER sah, dass es gut war.

Die Freude währte jedoch nicht lange. Es klingelte an der Haustür. Fluchend ging ER zum Aufmachen. Draußen stand sein Untermieter. Dieser roch ein bisschen streng und grinste diabolisch. ER war sehr erstaunt IHN zu sehen.

"Es ist soweit!" sagte der aus dem Keller. "Deine Zeit ist gekommen!"

"Was?" ER war außer sich. "Bist du völlig übergeschnappt?"

"Nein, ganz und gar nicht", meinte der Untermieter. "Seit einiger Zeit schickst du mir diese hier nach unten." Ein paar alte Anwälte versuchten sich hinter IHM zu verstecken.

"Damit sie mir nicht auf die Nerven gehen, habe ich ihnen deine Gesetzestafeln zum Studium gegeben. Und sie sind zu der Auffassung gelangt, dass du Teil deiner Schöpfung bist und damit alle Regeln auch für dich gelten. Daher ist nun deine Zeit gekommen!"

ER traute seinen Ohren nicht. Undank ist der geschaffenen Welten Lohn. ER hatte diesem Nichtsnutz das Leben eingehaucht, ER hatte IHM Arbeit verschafft und ER hatte IHN in seinem Haus aufgenommen, zumindest in den Teil der unterhalb des Erdgeschosses lag. Und jetzt das.

"Verschärfend kommt hinzu, dass du in letzter Zeit gegen deine eigenen Gesetze verstoßen hast und den armen Lebewesen da unten das Leben zur Hölle machst! Ein bisschen Fegefeuer täte dir jetzt ganz gut!"

"Wie habe ich das verdient? Für wen habe ich all das geschaffen? Keiner dankt es mir!"

"Allmacht war immer schon ein wenig begrenzt. Einfach überbewertet das Konzept! Komm zu uns nach unten. Es ist warm dort und die Partys sind nicht von schlechten Eltern!"

"Der Lärm ist mir nicht entgangen!" ER war wirklich angepisst.

"Ach, Alter, mach dich locker! Du musst jetzt nicht den Vermieter raus hängen lassen. Mach einfach mit. Es ist echt heiß da und die Leute sind total cool!"

ER hatte seine Zweifel.

"Und was wird aus der Schöpfung? Ich kann doch nicht einfach alles stehen und liegen lassen. Das verkommt doch, wenn ich mich nicht darum kümmere!"

IHN schien das wenig zu interessieren.

"Keiner ist unersetzlich. Das Universum kommt auch ganz gut ohne dich zu Recht."

"Aber wenn es mir da unten nicht gefällt?" ER war sich nicht mehr so sicher.

"Mann, das geht ab da, du wirst schon sehen! Außerdem, es ist zwar für immer, aber nicht für ewig."

ER war zunehmend verwirrt. "Wie soll ich das denn verstehen?"

"Du hast doch als einziger den eingebauten Notausgang: Wiederauferstehung!"

"Oh, stimmt! Daran hatte ich jetzt gar nicht gedacht."

ER ergriff die ausgestreckte Hand und ging mit IHM nach unten. Und ER sah, dass es gut war.



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