von thalasso wave, Erstveröffentlichung 2014
Um den Wert der Freiheit zu begreifen, braucht es manchmal ein paar Piraten. In diesem Fall ein Piratenspiel. Jetzt ist so ein Piratenspiel nichts wesentlich Neues. Das gab es früher schon und am Spielprinzip hat sich wenig geändert. Man kriegt ein kleines Schiff, muss damit andere Piraten wegballern und bekommt dafür virtuelles Gold, um sich ein größeres Schiff kaufen zu können, um mehr Piraten wegballern zu können und so weiter. Neu ist lediglich, dass man dazu keinen PC und keine Spielkonsole braucht, sondern lediglich ein Smartphone oder Tablet. Außerdem kostet das Spiel nichts.
Free to Play nennt sich das. Das Herunterladen des Spiels ist tatsächlich kostenlos und wenn es nett gemacht ist, kann man sich sogar aussuchen, ob man im Spiel Werbung sehen möchte oder nicht. Ja, aber wovon leben dann noch die Spielehersteller? Um dieses Problem zu lösen wurde der In-App-Kauf erfunden. Das schöne neudeutsche Wort In-App-Kauf bedeutet, dass man innerhalb des Spiels (der App) Geld ausgeben kann, nicht virtuelles, sondern richtiges Geld. Damit kann man sich die Dinge dazu kaufen, die den Verlauf des Spiels ein wenig schneller, reibungsloser oder unaufwändiger werden lassen. Zum Beispiel virtuelles Gold, um ein größeres Schiff zu kaufen.
Die gute Nachricht ist: man muss das nicht machen. Man kann auch ohne finanziellen Einsatz weiter spielen, es dauert halt nur sehr lange, bis man das erforderliche Gold zusammen hat. Namhafte Spieleentwickler verteidigen den In-App-Kauf auch gerne mit dem Argument, dass manche Leute so viel Zeit einfach nicht haben und daher durch einen kleinen Aufpreis in die Lage versetzt werden, das Spiel auch zeitnah zu Ende spielen zu können. Es soll ja auch Spaß machen.
Auf diese Idee hatten die Entwickler vor Jahren schlaue Chinesen gebracht, die statt in heimischen Fabriken unter erbärmlichen Arbeitsbedingungen sinnlose Billigware für die westliche Welt zusammenzuleimen lieber zu Hause am PC saßen und in Onlinespielen stundenlang Monster erschlugen, um an deren Gold zu kommen. Dieses Gold verkauften sie dann im Internet an andere Spieler, denen es an Zeit fehlte, sich die benötigten Devisen im Spiel selbst zu beschaffen. Vermutlich, weil sie zu sehr mit dem Einkauf sinnloser Billigware aus Fernost beschäftigt waren.
Dieses Geschäft wollte sich die Spielebranche natürlich nicht entgehen lassen und drängte die Chinesen aus dem Geschäft und zurück in die Fabriken, indem sie Spiele als Free to Play anbot, mit integriertem In-App-Kauf für alle im Spiel benötigten Ressourcen. Kreditkarte genügt. Von diesen kleinen Zuwendungen finanzierten die Entwickler schließlich das Spiel und konnten so auf einen Kaufpreis verzichten. Free to Play eben. Geht so weit in Ordnung, weil man ja die freie Wahl hat, ob man Geld ausgibt oder nicht.
Dennoch kamen mir unlängst Zweifel, ob man wirklich eine freie Wahl hat. Just als ich mit meiner kleinen Schaluppe so viele bösartige Piraten auf den Meeresgrund befördert hatte, dass es mir 40 Goldstücke zum Kauf des nächsten Schiffs eingebracht hatte, aber noch 60 weitere zum Kauf fehlten, bekam ich aus dem Spiel heraus ein unschlagbares Angebot. Innerhalb der nächsten 30 Minuten könne ich das ebenso unschlagbare Schlachtschiff statt für 100 Goldstücke schon für 60 blinkende Münzen bekommen.
Nun reichen 30 Minuten nicht aus, um in so kurzer Zeit die zum Kauf fehlenden 20 Goldstücke zu erwirtschaften. Die einzige Möglichkeit ist, diese per In-App-Kauf zu erwerben. Ha, dachte ich, auf diesen miesen Trick falle ich nicht rein. Ich spiele einfach weiter, bis ich 60 Goldstücke zusammen habe und warte auf das nächste Sonderangebot. So bekomme ich mein Schlachtschiff, ohne echtes Geld ausgeben zu müssen.
Tage später. Die Piraten stapelten sich auf dem Meeresgrund und ich hatte 60 Münzen. Jetzt brauchte ich nur noch auf das nächste Angebot zu warten. Und da kam es auch schon: Schlachtschiff, 80 Goldstücke! Da beschlich mich ein perfider Verdacht. Dieses Spiel macht mir nur Angebote, die ich mir gerade nicht leisten kann, um mich am Ende doch zu einem teuren In-App-Kauf zu verführen. Tatsächlich weiß das Spiel alles, was es dazu wissen muss. Es weiß, was ich habe und es weiß was ich haben will. Also bekomme ich maßgeschneiderte Angebote, die mit der Illusion der Ersparnis Umsatz erzielen sollen. Ich habe zwar noch die freie Wahl, das Angebot abzulehnen, doch mir wird schon geschickt der Mund wässrig gemacht.
Das Ziel des Spiels ist also nicht, Menschen die zu wenig Zeit haben, per Zukauf das Weiterspielen zu ermöglichen. Vielmehr geht es darum, jedem Spieler das Geld aus der Tasche zu ziehen. Aber es ist ja nur ein Spiel. Im wirklichen Leben ist ja alles ganz anders. Dort respektieren Konzerne, Hacker und Geheimdienste mein Privatleben und spähen nicht meine Daten aus, um zu wissen, was ich weiß, was ich habe und was will. Und wenn doch, ich habe ja nichts zu verbergen. Die wissen doch sowieso alles über mich.
Wie das läuft, konnte ich unlängst erleben, als ich einen Flug buchen wollte. Weil das Suchen passender Verbindungen etwas dauerte, las ich in einem zweiten Browserfenster parallel die Lokalnachrichten. Das Buchen zog sich weiter in die Länge, weil ich zu den genannten Daten nur vergleichsweise teure Flüge angeboten bekam.
Entnervt wechselte ich wieder zu den Nachrichten und erblickte zu meinem Erstaunen, dass dort die Werbung am Rand gewechselt hatte. Da wurde jetzt für das Flugportal im anderen Browserfenster geworben - mit exakt den Daten, die ich dort eingegeben hatte. Und viel billiger natürlich.
Ein kurzer Vergleich der beiden Webseiten erbrachte, dass bei beiden Seiten derselbe Werbedienst am Werk war. Stellt dieser fest, dass die Buchung in einem Fenster nicht vorankommt, wird kurzerhand nach Abgleich der verwendeten IP-Adresse im anderen Fenster die passende Werbung gezeigt. Das dort angezeigte Sonderangebot entpuppt sich prompt als Mogelpackung, denn beim vermeintlich billigen Flug sind die unvermeidlichen Gebühren plötzlich so hoch, dass am Ende fast der gleiche hohe Preis herauskommt.
Mit anderen Worten, ich werde verarscht. Mit der Kenntnis der von mir bereitwillig zur Verfügung gestellten Daten, soll ich solange an der Nase herumgeführt werden, bis ich das zu teure Angebot wahrnehme. Mir wird vorgegaukelt, dass es nichts anderes, besseres oder preiswerteres gibt, um meine Entscheidungsfindung zu beschleunigen. Ich habe zwar immer noch die freie Wahl, aber ich merke es nicht mehr.
Vielleicht habe ich jetzt doch etwas zu verbergen. Wenn ich schon nicht meine Daten für mich behalten kann, dann doch wenigstens meinen Willen. Man kann jetzt Manipulation, Abzocke und Wahrung der Freiheitsrechte in die Welt oder die sozialen Netzwerke jammern, ändern wird sich dadurch nichts. Solange es mit Verschlechterungen Geld zu verdienen gibt, wird die Welt nicht besser. Was soll dabei herauskommen, wenn man sein Leben nicht mehr selber plant, sondern andere uns diese Bürde selbstlos abnehmen? Haben wir nur noch die Wahl, wer unser Leben steuert: Alibaba, Apple, Amazon oder Goggle?
Ein Aufstand der Anständigen ist nicht zu erwarten. Daran ändern auch die gegenwärtigen Abhör- und Überwachungsskandale nichts. Solange jeder glaubt, dass man nicht betroffen sei, man doch nichts ändern könne und das alles ja nicht so schlimm sei, weil man nichts zu verbergen habe, muss man sich auch nicht wundern, wenn der freie Wille auf der Strecke bleibt. Womit wir wieder bei den Piraten wären. Obwohl sich die gleichnamige Partei die Rettung der Freiheits- und Bürgerrechte auf die Fahnen geschrieben hat, gibt es kaum jemanden, der sie wählen möchte. In der Wählergunst sind auch diese Piraten inzwischen auf dem Meeresgrund angelangt. Demokratie und Bürgerrechte schaffen es in Meinungsumfragen noch nicht mal unter die ersten zehn der wichtigen Themen. Freiheit, wofür unsere Vorfahren gekämpft haben und sogar gestorben sind, ist auf einmal nicht mehr so wichtig. Ist das wirklich noch zeitgemäß oder kann das weg?
Nur zu gerne ist der mündige Demokrat bereit, die Freiheit für etwas billigeres einzutauschen. Oder etwas, von dem man uns glauben lässt, dass es billiger ist.
Der Chefredakteur einer wirklich guten Zeitung hat mir einmal eine E-Mail mit der Bitte geschickt, ich möge doch den Werbeblocker in meinem Browser abschalten, wenn ich seine Zeitung online lese. Sonst sehe er die Finanzierung des freien Journalismus in Gefahr. Der Mann hat Recht. Und doch muss ich abwägen, wenn ich meine persönliche Freiheit opfern soll, um die Freiheit anderer zu retten. In diesem Punkt bin ich nicht zu gut für diese Welt. Ich sehe es nicht als meine Aufgabe an, das Geschäftsmodell der Zeitungsverlage zu retten. Das müssen die schon selber machen. Ich bin für Vorschläge offen.
© 2014 www.simon-verlag.de
Mehr lesen ...