Mein Leben als App
von thalasso wave, Erstveröffentlichung 2012

Einige große Erfindungen haben Information und Kommunikation der Menschheit sehr weit voran gebracht: Fotografie, Telefon, Radio, Fernsehen, Computer, Internet und das Mobiltelefon. Doch die bedeutendste Erfindung ist das Smartphone. Es fasst alle vorgenannten Errungenschaften in einem mobilen Gerät zusammen.

Damit nicht genug. Das Smartphone ist darüber hinaus Musik- und Video-Player, Spielkonsole, E-Book-Reader, Adressbuch, Fahrkartenautomat, Kompass, Landkarte, Uhr, Wecker, Terminkalender, Zeitungskiosk, Teleshopping Terminal, Diktiergerät, Notizbuch, Videokamera, Reisecenter, Fahrplan, Fernbedienung, Wettervorhersage und nicht zuletzt Kommunikationszentrale für soziale Netzwerke.

Von allen brauchbaren und sinnlosen Geräten, die man so benutzt, hat das Smartphone den größten Marktanteil erobert und wird diesen auch nicht mehr abgeben. Wegen seiner enormen Nützlichkeit ist das Smartphone aus dem modernen Leben nicht mehr wegzudenken. Wer diesen ständigen und unentbehrlichen Begleiter verliert, ist oft reif für die Anstalt.

Und wie der Name schon andeutet: ein Smartphone ist schlau, zumindest schlauer als seine Besitzer. Genau genommen ist ein Smartphone zwar dumm wie Brot, denn es kann keinen sinnvollen Gedanken selbstständig äußern. Aber es ist dennoch clever genug, sich katzengleich von seinen Besitzern umsorgen zu lassen. Die Fürsorge des Smartphone-Nutzers erinnert eher an ein geliebtes Haustier als an ein technisches Gerät.

Vor 20 Jahren hieß das Tamagotchi, aber das konnte nicht telefonieren. Dieser historische Vorläufer des Klugtelefons musste regelmäßig gepflegt und gefüttert werden, verursachte aber dabei keine weiteren Kosten. Das Smartphone hingegen schreit Tag für Tag nach neuem Futter: Apps!

Für Telefonhirten, die bisher ohne Apps durchs Leben gekommen sind: Apps sind kleine Software-Applikationen, die sich von den großen Programmen auf den PCs dadurch unterscheiden, dass man alle Funktionen, die niemand braucht weggelassen hat. Darüber hinaus werden Apps automatisch auf dem Smartphone installiert, ohne dass sich der Nutzer durch Handbücher, unverständlichen Fachkauderwelsch oder vielfältige Installationsoptionen kämpfen muss. Schließlich tun Apps genau das, was sie sollen, nicht mehr und nicht weniger. Also genau das, was PC-Nutzer immer schon wollten, aber nie bekamen.

Im Gegensatz zu teurer Software, die oft jahrelang genutzt wird, falls man jemals verstanden hat, wie sie funktioniert, haben preiswerte oder gar kostenlose Apps eine sehr kurze Lebensdauer. Sie nutzen sich quasi schon dadurch ab, dass es ständig neue Apps gibt. Um beim neuen Volkssport, dem App-Vergleichen, nicht ins Hintertreffen zu geraten, muss man beinahe täglich neue Apps installieren. Sonst drohen soziale Vereinsamung, gesellschaftliche Ächtung und Abstieg in den Lehrberuf oder die Politik (ein Drittel aller Lehrer und Politiker haben nicht die leiseste Ahnung von Computern und Internet).

Genau hier schlägt meine große Stunde. Denn bei der Auswahl der Apps ist mein ach so kluges Telefon völlig überfordert. Ich allein bestimme was mein Smartphone zu fressen kriegt. Denke ich jedenfalls.

Je länger ich darüber nachdenke, desto größere Zweifel überkommen mich. Bin ich noch der Nutzer und Besitzer meines Smartphones? Oder bin ich nur noch eine App meines Telefons?

© 2012 www.simon-verlag.de

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